ATLANTIKÜBERQUERUNG TEIL 1: KANAREN – KAPVERDEN
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ATLANTIKÜBERQUERUNG TEIL 2: KAPVERDEN – MARTINIQUE

In Kurzform

Am 1. April legten wir um 10 Uhr in der Marina Mindelo auf Kapverden ab. Wir mussten nur das Vorsegel setzen und die EXTRA MILE zog lautlos aus der grossen Bucht auf die offene See hinaus. Wir rundeten die Südspitze der Nachbarinsel Santo Antão, durchquerten mit Hilfe des Motors den Windschatten dieser hohen Insel und setzten dann Kurs Richtung Westen.

wir verlassen Kapverden

Ich fragte Bea jeden Morgen: «Schatz, was machen wir heute?» Und sie antwortete immer mit: «Wie wär’s mit segeln?» Da war ich einverstanden und so segelten wir zu zweit 15 Tage am Stück Richtung Westen bis wir am 16. April auf Martinique ankamen. Das macht 2100 nautische Meilen, resp. rund 4000km. So die Kurzversion unserer Atlantiküberquerung. In der Tat besteht eine Ozeanpassage im Wesentlichen darin, dass man eine Zeitlang umgeben von nichts als Wasser auf einem schaukelnden Boot lebt, das nebenbei auch noch segelt.

Was macht man 2 Wochen lang auf dem offenen Atlantik?

selber gebackenes Brot

Nun, wir hatten pro Tag 1-2 Segelwechsel. Häufig bargen wir am Morgen Gross und Genoa inkl. Genoa-Baum und setzten das Parasail. Am Abend dann der umgekehrte Prozess. Ansonsten war der Tag ausgefüllt mit kochen, essen, schlafen, nichts tun, lesen, reden oder auch schweigen, zwischendurch einer Partie Yazzy, manchmal am Abend eine Folge Netflix. Bea buk ab und zu mal Brot oder Zopf. Am Mittag wurde ein Logbucheintrag gemacht und die Position auf der Seekarte eingetragen. 2x pro Tag lud ich aktuelle Winddaten herunter und plante die nächsten Schritte. Häufig sass ich einfach nur da und schaute aufs Meer hinaus. Das war mir Erfüllung genug.

2 Wochen lang nichts tun. Wunderbar.

Ganze zwei Schiffe haben wir in den zwei Wochen gesehen: Einen kleinen Frachter und ein Passagierschiff. Sonst waren Bea und ich da draussen alleine unterwegs.

reichhaltiges Frühstück. Ist heute Sonntag?

Nachts wechselten wir uns jeweils nach 6 Stunden mit der Wache ab. Bea übernahm jeweils die erste Wache von 20 – 2 Uhr und ich die zweite von 2 – 8 Uhr. 6 Stunden Wache in der Nacht tönt nach einer Tortur, muss aber nicht sein. Im Gegensatz zu meiner Erfahrung im Schweizer Militär, wo das Einschlafen auf der Wache zu den schlimmsten aller Todsünden gehörte, war hier das Schlafen auf der Wache wichtig und sogar erwünscht. Wir haben uns eine der Achterkabinen als Schlafplatz während der Wache eingerichtet. Konkret hiess es alle 30-45 Minuten mal schnell die Rettungsweste über das Pyjama anziehen, hoch ins Cockpit steigen und sich an der Sicherheitsleine einpiecken. Es folgte ein genereller Kontrollblick rundum auf’s Meer (keine Lichter in Sicht), auf’s Boot und das Rigg (alles sieht aus wie immer), auf die Windanzeigen (Wind ist immer noch gleich, wir müssen nichts an den Segeln ändern) und das AIS (kein Schiff weit und breit). Dann schnell wieder runter ins Bett. Timer neu auf 45 Minuten stellen und gute Nacht EXTRA MILE, segle einfach schön weiter. Leider kann man dem Körper nicht einfach den Schlaf befehlen, so staute sich bis Ende der Passage doch ein beachtlicher Schlafmangel an.

Fern jeglicher Lichtverschmutzung wölbte sich nachts über uns ein imposanter Sternenhimmel. Schaute man nach rechts so sah man im Norden deutlich den «Grossen Bären» und den Polarstern am Himmel stehen. Umgekehrt stand auf der linken Seite des Schiffes jeweils das «Kreuz des Südens» tief über dem Horizont. Wir wussten, wir sind auf dem Weg nach Westen und kamen uns ein klein wenig wie die alten Seefahrer vor.

Das Rundsegel hatte ich als Back-Up dabei, falls der Autopilot aussteigen würde. Das Ruder wird blockiert und der Fallschirm zieht das Boot in Windrichtung. Habe ich einmal auf der Überfahrt ein paar Stunden lang getestet, aber sonst nie gebraucht. Unser Autopilot hat 15 Tage tip top durchgehalten.

Es ging uns mehrheitlich gut, ausser Tag 3 und 4, da waren wir beide seekrank. Das waren unerfreuliche Stunden, die aber zum Glück vorbei gingen. Wir hatten meistens keine grossen Wellen, max. um die 2,5m, aber leider über grosse Strecken Kreuzseen. Häufig war nebst der Welle von hinten noch ein Schwell von der Seite mit dabei, manchmal von Norden und manchmal von Süden. Das machte das Leben an Bord streng. Auch schlafen war manchmal eben nicht erholsam. In der Kreuzsee habe ich die beste Erfahrung mit der Bewusstlosen-Seitenlage gemacht. Mit dem ausgestreckten Arm und dem angewinkelten Beim lag man recht stabil, auch wenn das Boot rollte. Und sollte ich ob aller Mühsal in Ohnmacht fallen, so würde man mich zumindest schon mal richtig gelagert vorfinden.

Es wurde wärmer

Obschon wir nicht nach Süden sondern schnurstracks nach Westen segelten, stieg die Temperatur stetig an. Das hat mit den Meeresströmungen zu tun. Während auf der afrikanischen Seite des Atlantiks der Kanarenstrom von Norden kühles Wasser nach Süden verfrachtet, so ist in der Karibik der Äquatorialstrom steter Zubringer warmen Wassers. Auf den Kapverden betrug die Wassertemperatur 23 Grad, in der Karibik 27 Grad.

Das hat natürlich auch Einfluss auf die Lufttemperatur. Während wir in den ersten Nächten noch eine Softshell Jacke oder einen Pulli brauchten, so reichte gegen Ende der Passage nur noch kurze Hose und T-Shirt; auch in der Nacht. Jetzt auf Martinique schaue ich mir bei 29 Grad (Lufttemperatur) all die warmen Kleider im Schrank an und frage mich: Wann um Himmels Willen zieht man so was an?

Schreckensmoment

In der Mitte der Passage fuhren wir in eine Flaute, die knapp 2 Tage dauerte. Es war nie ganz windstill, aber wenn der Wind von hinten nur noch 5kn beträgt, dann ist nichts mehr mit segeln. Um genau zu wissen, wie viel Diesel wir noch dabei hatten, füllten wir am Abend von Tag 10 den Tank aus den mitgeführten Kanistern voll auf. Dann drehte ich den Zündschlüssel und – nichts. Der Motor tat keinen Wank! Das war uns in den fast 2 Jahren, wo wir auf der EXTRA MILE unterwegs sind, noch nie passiert. Was war los? Ich mass die Spannung der Starterbatterie, war tip top. Auch die Bordbatterie-Bank hatte noch genug Spannung. Der Anlasser ist erst ein halbes Jahr alt. Ich fand keine Lösung und entschied mal darüber zu schlafen. Wir setzten trotz wenig Wind die Segel und tümpelten langsam vor uns her. Ich ging nachts diverse Szenarien durch. Klar, als Segelboot würden wir es auch ohne Motor bis Martinique schaffen und im schlimmsten Fall müssten wir dort einen Schlepp in den Hafen anfordern… So dramatisch wurde es dann aber nicht. Als am Morgen die Sonne kam und die Solarpanels Strom lieferten, schnurrte das Motörchen wieder wie ein Kätzchen. Offenbar ein Stromproblem. Wir durchquerten die Flaute und segelten anschliessend mit gutem Wind bis Martinque. Später wiederholte sich das Szenario mit dem Motor und es wurde klar, dass offenbar bei zu niedriger Spannung, der Motor nicht startete. Unterdessen hatte ich in Martinique einen Techniker an Bord, der das Problem rasch fand. Bei den starken Bewegungen des Schiffes hatte sich ein Kontakt der Starterbatterie etwas gelockert. Erst ab einer gewissen Spannung der Bordbank (13,0V) geht die Schnittstelle zur Starterbatterie auf und die Bordbank startet den Motor. Wenn das für dich jetzt eher schwer zu verstehen ist, dann weisst du, wie es mir in jener Nacht erging. Inzwischen verstehe ich unser Strom-System um Meilen besser, als vor einer Woche auf dem offenen Atlantik und v.a., der Motor springt jederzeit wieder an.

Lessons learned: Anhand dieser Geschichte wurde mir schmerzlich bewusst, dass ich in Bezug auf ein Vorhaben wie die Querung des Atlantiks beim technischen Verständnis hinterher hinke. Heute würde ich sagen, dass man den Dieselmotor und das Stromsystem des Schiffes genauso gut verstehen muss, wie das Rigg und die Navigation bevor man sich so weit von jeglicher technischer Hilfe entfernt.

Ausrüstung

Ich habe mir auch die Frage gestellt: Welche von den vielen Ausrüstungsgegenständen auf unserem Schiff haben wir wirklich für die Überfahrt gebraucht? Hier 3 Dinge, die ich nicht mehr hergeben würde:

Garmin InReach, Satelliten-Sender/Empfänger: Super wichtig. Dass der kleine orangene Zwerg unser Position trackte und ins Internet stellte, so dass man unsere Fahrt mitverfolgen konnte, war eher eine Nebenfunktion. Die Hauptfunktion bestand darin, dass wir via Satellit aktuelle Wetterdaten laden konnten und im Notfall hätten mit der Aussenwelt kommunizieren können. Zudem konnten wir kurzen Nachrichten schicken und empfangen. Mein Bruder hatte während der Überfahrt ein Auge auf die Grosswetterlage und schickte mir laufend Infos zum Wetter.

 

Genoa-Baum: Diese 6m lagen Alu-Stange hatten wir in Las Palmas de Gran Canaria gekauft und auf den langen Strecken mit Wind von hinten viel gebraucht. In der Nacht hatten wir fast immer den «Schmetterling» gesetzt. Segelt effizient und stabil.

Parasail: Da wir über viele Tage mässigen Wind hatten, war das Parasail für uns tagsüber oft das Hauptsegel. Das Teil war zwar nicht billig, aber die Anschaffung hat sich definitiv gelohnt.

Wasser war ein Thema

Man hat vermutlich schon Geschichte von Seeleuten gehört, die mitten im Meer verdursteten, obschon sie von (Meer-)Wasser umgeben waren. Tatsächlich haben wir uns bei der Planung überlegt einen Wassermacher (Entsalzungsanlage) anzuschaffen. Damit kann man aus Salzwasser Süsswasser gewinnen und entgeht so wahrscheinlich dem Dehydrierungstod auf dem Ozean (sofern man Energie hat um die Anlage zu betreiben).

Wir haben uns gegen eine solche Anlage entschieden und sind damit ganz gut gefahren. Wir hatten 150 Liter Trinkwasser in grossen Petflaschen dabei. Pro Person und Tag rechneten wir mit 2 Litern Trinkwasser. Mit unserem Vorrat würden wir zu zweit also fast einen Monat durchhalten. Zusätzlich hatten wir noch Fruchtsäfte, Süssgetränke und Bier dabei. Nein, wir würden nicht verdursten.

eine der Heckkabinen als Lagerraum umfunktioniert

Weiter hatten wir 600 Liter Wasser in den Edelstahltanks dabei, die im Schiff verbaut sind. Dieses Wasser trinken wir nicht, aber benutzen es in Küche und Bad. Toilette wird komplett mit Meerwasser gespült, braucht also kein Süsswasser. Auch in der Küche geht vieles mit Meerwasser. In der Küche haben wir eine Fusspumpe mit der man Wasser aus dem Meer in den Waschtrog pumpen kann. Das ist super praktisch. Abwaschen kann man tiptop mit Salzwasser. Am Schluss kurz mit Süsswasser spülen und gut ist. So spart man enorm viel Wasser. Auch Zähneputzen kann man so. Und duschen? Natürlich auch nach dem gleichen Prinzip. Am Heck des Schiffes intensive Kübeldusche und danach (wenn’s sein muss) noch kurz mit Süsswasser abspülen. Tatsächlich haben wir während der 15-tägigen Überfahrt zu zweit nur 150 Liter Süsswasser aus unseren Tanks gebraucht, das macht pro Person und Tag 5 Liter.

Fazit

Auf den Punkt gebracht können wir über das Abenteuer sagen: Es war schön aber streng. Es hat sich gelohnt, aber muss nicht wiederholt werden.

wir laufen in der Marin Marina auf Martinque ein

Jeden Tag stellten wir uns die Frage: Würden wir eine solche Ozeanpassage wieder tun? In der ersten Woche hiess die Antwort immer Nein. In der zweiten Woche ebenfalls. Für uns war die Atlantiküberquerung eine «once in a lifetime experience» und braucht darum nicht wiederholt zu werden. Nicht, dass wir es als schlimm empfunden hätten (abgesehen von Tag 3 und 4). Im Gegenteil, wir verbrachten viele wunderschöne Segeltage auf dem Meer, aber es war sehr streng. Vor allem der Schlafmangel machte uns zu schaffen. Bei einer Ozeanpassage ist selten der Weg das Ziel, sondern das Ziel ist das Ziel und der Weg ist der Weg dorthin. Ich meine, es gibt interessantere Segelreviere als den offenen Atlantik. Wir haben die Strecke gemacht um in die Karibik zu gelangen, jetzt sind wir da und es ist wunderschön. Daher war’s das Abenteuer wert.

Ausblick

Unterdessen sind wir nun seit einer Woche in der Karibik. Das Stromproblem ist gelöst, die Wäsche gewaschen, das Boot geputzt und wir haben wieder Internet. Wir gewöhnen uns langsam an die ständige Wärme. Vor wenigen Tagen sind wir mit einer kleinen Crew in einen ersten Törn gestartet, der uns in Richtung Süden zu den Grenadinen bringt und dann über Saint Lucia wieder zurück nach Martinque. Wir sind gespannt auf diesen Teil der Karibik und freuen uns sehr auf das baden und schnorcheln im glasklaren, warmen Wasser.

Beste Grüsse von den Tobago-Keys