VON DEN KLEINEN ZU DEN GROSSEN ANTILLEN
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ZWISCHEN LEBENSFREUDE UND REPRESSION
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KEIN LAND WIE KUBA

Kuba Monument Santiago

«Wie ist es in Kuba?» fragen uns viele und diese Frage lässt sich gar nicht so einfach beantworten. Wir sind seit gut einem Monat in diesem besonderen Land und unsere Empfindungen sind zwiegespalten. Die schöne Seite Kubas ist wirklich so schön, wie man sie aus Prospektbildern kennt. Tolle Oldtimer, fröhliche und äusserst freundliche Leute, Musik an jeder Ecke. Es gibt hunderte kleiner Mangroven-Inseln und Postkarten-Strände. Auch im Inland findet man wunderschöne Landschaften und herrliche Wasserfälle. Die Drinks sind gut und günstig und die Zigarren schmecken wunderbar. Kuba ist eine Reise wert.


Und doch war unser Ersteindruck von der armen Seite Kubas überschattet. Das Land steht am Abgrund. Die Leute haben wenig, kämpfen sich von einem Tag zum anderen und die meisten Kubaner, mit denen wir gesprochen haben, möchten am liebsten weg. Eine Reiseführerin sprach von einer regelrechten Auswanderungswelle, die in den letzten Jahren das Land erfasst hat. Tatsächlich leben unterdessen gleich viele Kubaner in Miami wie in Havanna und wäre die Grenze offen, wäre kaum mehr jemand hier.

Katastrophale Versorgungslage

Wir landeten in Santiago de Cuba, ganz im Südosten des Landes, in der Armenecke Kubas und erlebten einen regelrechten Kulturschock. Wenige Tagen zuvor konnten wir auf Bonaire in riesigen Supermarkts einkaufen, was wir brauchten, und plötzlich auf Kuba hatte es in den Läden ausser ein paar Rumflaschen einfach nichts mehr. Selbst Grundnahrungsmittel wie Brot, Milch, Mehl, Eier, Teigwaren, Käse sind meistens nicht vorhanden. Auch Benzin an den Tankstellen ist häufig Mangelware. Das gleiche gilt für Wasser in der Marina, für Strom oder das Internet.

Für die Kubaner sind Lebensmittel rationiert, die Leute stehen stundenlang bei speziellen Ausgabestellen an um ihre Coupons einzulösen und Grundnahrungsmittel zu kaufen. Pro Person und Monat dürfen sie mit den Rationierungskarten z.B. fünf Eier kaufen. Mehr gibt’s nicht, offiziell. Aber ist die Versorgungslage schlecht, blüht die Schattenwirtschaft. Auf dem Schwarzmarkt kriegt man doch manches. Ein Taxifahrer telefoniert herum und wir können schliesslich 30 Eier für umgerechnet 20 Franken kaufen. Wir haben ja nicht mal die kubanischen Rationierungsmarken und müssen irgendwie zu Lebensmitteln kommen.

Der Taxifahrer – dein Freund und Helfer. Dieser organisierte für uns Mehl, 3kg von einem Hotel für ca. 10 Fr. Natürlich verdient er auch etwas mit.

Da Brot schwer zu kriegen ist, hat Bea wieder begonnen selber Brot zu backen. Doch die Lösung eines Problems kreiert oftmals ein neues. Unser Backofen funktioniert mit Gas und langsam geht unser Gasvorrat zu Ende. Die europäischen Gasflaschen kann man in Kuba nicht füllen lassen, weil es keine Adapter gibt. Kaum zu glauben, aber das Problem ist ein fehlender Adapter! Und es gibt wirklich keinen, das hat uns auch eine deutsche Charterfirma in Cienfuegos bestätigt. Das heisst wir müssen Gas sparen. Porridge ist eine Alternative, weil die Zubereitung eines Haferbrei-Zmorgens nur einen Bruchteil des Gases verbraucht, den man zum Brotbacken benötigt. Und Haferflocken haben wir tatsächlich in einem Laden gefunden und uns gleich eingedeckt. So gibt’s öfter mal Haferbrei auf der EXTRA MILE und wir hoffen, dass die bestehenden 1 ½ Gasflaschen, die wir noch haben, bis Anfangs April reichen. Dann füllen wir auf den Bahamas wieder auf, hoffentlich.

Bea fährt uns am Morgen früh aus einer gut geschützten Ankerbucht

Unterdessen haben wir den ersten Schock verdaut und in Cienfuegos, wohin wir unterdessen gesegelt sind, ist die Versorgungslage schon wesentlich besser. Aber auch hier gilt, wenn es etwas hat, dann sofort kaufen und zwar gleich richtig. Bea ist kürzlich mit 1kg Butter und 1 kg Gouda nach Hause gekommen. Ein Glückstag! Gouda mögen wir zwar nicht so, aber besser Gouda als gar keinen Käse.

Auf einem Ausflug entdecken wir einen Gemüsestand am Strassenrand und decken uns mit Kartoffeln ein.

Das alles erinnert mich schwer an meine Kindheit in der damals noch kommunistischen Tschechoslowakei. Auch dort standen wir stundenlang für Lebensmittel an und kauften schliesslich was es hatte, nicht was man wollte. Kuba libre? – Die guten Revolutzgis haben zwar ein schlechtes System gestürzt, aber wahrlich kein besseres aufgebaut und sicherlich kein freies. Wer heute noch mit einem Che Guevara T-Shirt herum läuft, der hat den real existierenden Sozialismus vermutlich nie kennen gelernt (oder ist noch in der Pubertät…)

Propaganda überall. Viele Optionen lässt das System nicht zu: Heimat oder Tod

Keiner zu klein ein Guerilla-Kämpfer zu sein. Türschild eines Kindergartens, Sturmgewehr inklusiv. Man stelle sich das in der Schweiz vor: Spielgruppe «Dä chli Soldat vom Üetliberg». Da würde ich meine Kinder auch hinschicken…

Überlebenskünstler

Ein Arbeiter, der das Tauchboot vorne am Steg in Santiago wartet, kommt zu mir und fragt nach einem 14er-Steckschlüssel und einer Ratsche. Ich leihe ihm das gewünschte Werkzeug aus. Später will er noch ein starkes Klebband. Klar, kann er haben. Am nächsten Tag kommt der Chef aus dem Marina-Office und fragt mich, ob ich ev. einen Inbusschlüssel hätte. Er versucht einen alten Lautsprecher zu reparieren, aber hat das erforderliche Werkzeug nicht. Ja, ich habe Inbusschlüssel und bringe ihm das ganze Set vorbei. Am Abend hilft er wiederum mir, Geld auf meine kubanische SIM-Karte zu laden, so dass ich Datenguthaben kaufen kann. Er hat dafür eine kubanische App und ich zahle ihm den Betrag bar aus. Hier hilft jeder jedem. Nur so kann der Einzelne überleben und wir sind als Langzeittouristen Teil des Systems.

Wir haben unterdessen sozusagen «Keller und Estrich» auf unserem Schiff ausgeräumt und Zeugs, das wir nicht benötigen auf Kuba verschenkt, resp. eingetauscht. Alte Wasserpumpe, Heizelement für Boiler, nicht benötigte USB-Kabel, Sandalen, diverse Kleider, eine alte Jacke. Sachen, die wir Jahre lang mitgeschleppt und vermutlich am Ende weggeschmissen hätten, haben hier noch Wert und werden gerne entgegen genommen.

Ersatzteile gibt es keine. Wer improvisieren kann, ist klar im Vorteil.

In einer Bucht fragt uns eine Frau ob wir bei ihr Znacht essen möchten. Wir sagen zu und erhalten ein einfaches aber schmackhaftes Essen in einer sehr einfachen Hütte. War eine authentische Erfahrung. «Bezahlt» haben wir dafür mit ein paar nicht benötigte Fischerhaken und einigen Kleidern von Bea, die sie nicht mehr trägt. Der Mann hat fast ein Freudentänzchen gemacht, als er die Fischerhaken sah, auch das eine Ware, die schlichtweg nicht verfügbar ist, dabei leben die meisten an der Küste vom Fischfang.

Wir ankern alleine in einer ruhigen Bucht bei einer Mangroveninsel. Ein Fischerboot kommt vorbei und die Männer winken zu uns rüber. Schnell verstehen wir, was sie meinen und tauschen eine halbe Flasche Rum gegen einen fangfrischen Mutton Snapper, den sie auch gleich für uns filetieren. Die Fischer sind glücklich, wir auch. Einer fragt dann noch, ob wir ev. Essig hätten. Ja, haben wir und schenken ihnen eine kleine Flasche Apfelessig. Kommt mir irgendwie vor wie «Siedler» spielen: Biete ½ Rum. Wer hat Fisch? Gebe noch einen Essig dazu. Deal? Wäre lustig, wenn es nicht tragisch wäre.

Bürokratie und Kontrolle

Wir sind in einer Marina und neben dem Steg hat es ein Hotel. Obschon es kaum Gäste hat werden am Morgen im Restaurant am Wasser die Tische säuberlich vorbereitet und wir malen uns aus, dort dann jeweils einen Kaffee und etwas zum Frühstück zu kriegen. Das wäre in jedem anderen Land das Normalste auf der Welt. Nicht aber in Kuba. Marina und Hotel sind mit einem mannshohen Gitter abgetrennt. Wir dürfen nicht zum Hotel rüber und die Hotelgäste nicht in die Marina. Ohne Zaun, keine Kontrolle.

Im Alltag macht die Wirtschaftsblockade der USA den Kubanern eben doch mehr zu schaffen, als es die Propaganda suggeriert.

Ich will die kubanischen Seekarten für unser Schiffs-Navi herunterladen. Geht nicht, weil die entsprechende amerikanische Webseite von der US-Regierung für Internetnutzer aus Kuba gesperrt wird. Das ist Teil der gegen Kuba verhängten Wirtschaftssanktionen. Zum Glück habe ich digitale Seekarten auch noch auf meinem Tablet und kann so navigieren. Und in Cienfuegos macht neben uns ein Schiff fest mit einer Starlink-Schüssel. So kann ich schliesslich direkt via Satellit die Blockade umgehen und die Karten für den Kartenplotter laden. Es geht manches dann irgendwie doch, aber nur mit Aufwand und nur wenn man Glück hat.

Wir sind vor Anker in einer Bucht. Die Guarda Frontera (Küstenwache) kommt um unsere Papier abzustempeln.

Auch die Orte, wo wir hinsegeln dürfen, sind stark reglementiert. Manche Orte sind für ausländische Boote gesperrt. Wir müssen uns zudem in jeder Marina bei der Küstenwache an- und abmelden. Vor allem wollen die Behörden wissen, wer an Bord ist. Crewwechsel können nur in einer grösseren Marina vollzogen werden, weil die offizielle Crewliste angepasst werden muss. Da könnte ja jemand abhauen…! Auch in den meisten Buchten braucht es einen Stempel in unser kubanisches Schiffsdokument. Manchmal müssen wir bei der Küstenwache vorbei gehen, manchmal kommen sie zu uns an Bord und informieren uns, ob und wo wir in dieser Bucht an Land dürfen oder eben nicht. So weiss der Staat immer genau, wo wir sind. Natürlich hat es auch die abgelegenen Inselchen und Buchten wo es keine Guarda Frontera gibt, dort leben wir als Segler frei, so wie wir es gewohnt sind.

Leben mit Solarstrom

Irgendwann irgendwo auf der Überfahrt von Bonaire nach Kuba hat unser Alternator (Motorenteil, das Strom produziert) den Geist aufgegeben, resp. der Regler war’s. Ich glaube, ich weiss warum, aber das ist eine lange Geschichte. Jedenfalls haben wir während dem Zwischenstopp auf Jamaika nochmals alle Batterien aufgeladen und in Santiago de Cuba das Schiff wieder an den Landstrom gehängt. Dort liess ich den Alternator ausbauen und in einer Werkstatt flicken. Die Kubaner sind ja berühmt dafür, dass sie alles reparieren können. Na ja, der reparierte Regler funktionierte gerade mal eine Stunde, dann machte er eine Überspannung und anschliessend war das Teil mausetot. Kein Strom ab Motor.

4 Panels x 100W reichen für uns gut aus

Anstatt mit weiteren Reparatur-Übungen Zeit zu verlieren, entschieden wir uns Santiago de Cuba zu verlassen und ohne Alternator weiter zu segeln. Schliesslich liefert unser Solarkraftwerk auf dem Geräteträge ordentlich Power. Als wir unnötige Stromfresser bei Nichtgebrauch abschalteten (v.a. den Inverter), konnten wir den Stromverbrauch fast halbieren. Greta wäre stolz auf uns! Bei unserer grossen Bordbatterie sank die Kapazität so nie unter 95%, und da die Sonne in Kuba kräftig und fast senkrecht herabscheint, war die Batterie bis Mittag jeweils wieder voll aufgeladen.

Die Starterbatterie wird nicht über die Solarpanels geladen. Daher laden via Solarpanels –>Bordbatterie –>Inverter –> externes Ladegerät –> Starterbatterie

So mussten wir zwar vorübergehend auf die Kaffeemaschine und den Boiler verzichten, aber das ist (vorübergehend!) zu verkraften. Unterdessen hat der neue Alternator made in Germany seinen Weg in die Schweiz gemacht und wird in den nächsten Tagen von Freunden, die zu Besuch kommen, nach Kuba eingeflogen. Dann gibt’s wieder guten Kaffee und die Sicherheit jederzeit Strom auch ab Motor produzieren zu können.

Wir werden noch etwa 1 Monat lang in Kuba sein, segeln zu Cayo Largo und den Inseln im Süden, dann um die Westspitze Kubas herum und anschliessend mit dem Golfstrom im Rücken Richtung Bahamas.